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Kyudo

Kobun und die Kunst des Kyudo

 


Während Kobun vielen als Zenmeister und wegen seiner Kalligraphien in Erinnerung geblieben ist, spielte auch Kyudo, die traditionelle Kunst des japanischen Bogenschießens, eine wichtige Rolle in seinem Leben. Er erhielt seine Übung von Kanjuro Shibata XX in Kyoto (Heki Ryu Bishu Chikurin ha) bereits in frühem Alter. Mit Shibata Sensei verband ihn eine tiefe Freundschaft. Im Laufe seines Lebens praktizierte er mit unterschiedlicher Intensität.

Er lehrte im Auftrag von Shibata Sensei und gelegentlich auch eigenständig. In nachfolgendem Artikel bespricht Kobun einige wesentliche Punkte des Kyudo. Für ihn ist das letztendliche Ziel des Kyudo die Enthüllung der eigenen natürlichen Würde. Weiter betont er, dass es keinen Unterschied zwischen Kyudo und Zazen gibt. Beide erfordern eine lebenslange Übung um im Treffen des Ziels zu enthüllen, wer man eigentlich ist.

 


 

Kyudo

Natürliche Würde und der Pfeil des Geistes

Ein Gespräch Kobun Chino Roshis vom 8. Juli 1987 während des
Kyudo Intensiv-Seminars im Rocky Mountain Dharma Center

 

Frage: Was ist natürliche Würde im Kyudo?
Chino Roshi: Es geht um das Wesen von „shahin“. Was sind die Eigenschaften von shahin? Wie erreicht die Übung dieses shahin, was immer es auch ist? (Gelächter) [„sha“ bedeutet Schuss; „hin“ bedeutet so etwas wie Würde oder das edle Wesen, das durch die Praxis herauspoliert wird]  Es bezieht sich auf das Ziel. Das Ziel wird zu einem Spiegel, und mein Verständnis ist, dass dieser „Ziel-Spiegel“ eine genau Reflexion des eigenen Selbst ist, der eigenen Form, wie „shakei“ genannt wird. [„kai“ bedeutet Form.]

 

 

Unser Körper, die Gliedmaßen, der Bogen, die Sehne und der Pfeil sollten alle zusammen in einer ausgewogenen Harmonie sein wie eine gesunde Familie. Der Vater ist die Stärke des Bogens gedrückt von der linken Seite; die Mutter ist die Spannung der Sehne gezogen von der rechten Seite; der Peil ist das Kind, losgelassen um zu wachsen. Du schießt, um den Pfeil loszulassen damit er sich in Raum und Zeit entfaltet, du schießt so, dass der Geist des Bogenschießens eine sichtbare Manifestation erhält und zusätzlich um die unsichtbare Qualität in deinem Leben zu entwickeln. „Shashin“:. „Shin“ bedeutet Geist-Zentrum und Seelenleben, und die daraus sich entwickelnden Bedeutungen.

 

Kyudo

Wie Shibata Sensei gesagt hat, man „erlangt“ shahin nicht. Was von innen herauspoliert wird entfaltet sich in natürlicher Weise von selbst als Eigenschaften eures eigenen Lebens, als das eigene Leben eines Bogenschützen selbst. Diese Eigenschaften kann man nicht nur während des Schießens sehen, sondern auch als lebender Beweis in der Erscheinung einer Person und wie sich das Leben Tag für Tag manifestiert. Wir schätzen nicht nur einen so fortgeschrittenen Übenden unter uns zu haben, sondern auch, dass es Praktizierende gibt, die nicht den Weg des Bogen praktizieren und dennoch shahin sehen und fühlen.

 

Für den alten Mann, der seinen Pfeil in den Fels schoss, war es vielleicht sein letzter Pfeil und sein letzter Schuss des Tages, wie Sensei erklärt hat. In der Geschichte war der junge Bogenschütze zu Pferd von einem höheren Rang als der alte Mann, der zu Fuß ging, entsprechend der Hierarchie der Kriegerschaft. Die Einstellungen der beiden Männer zum Weg des Bogenschießens waren ganz verschieden. Sensei sprach von shahin und shakei zusammen als dem Geist des Bogenweges. Als der alte Mann den Fels mit seinem letzten Schuss durchbohrte, das muss sein shashin, shahin und shakei gewesen sein und auch der Beweis seiner lebenslangen Praxis. Er war jenseits von nur shakei und shashin. Den Fels zu durchbohren ist so erstaunlich unmöglich. Aber der Pfeil des Geistes durchdringt alles.

 

Kobun with Reb Anderson

Einige Texte sprechen von einem berühmten chinesischen Bogenschützen der Gei [Ga] genannt wurde. Er verfehlte niemals das Ziel unter welchen Umständen auch immer – auch auf 100 yards . Der Mechanismus von shakei und Praxis bringt Menschen auf eine solche Stufe. Darüber hinaus – um auf Deine Frage was wir eigentlich lernen und meistern beim Weg des Bogens zurückzukommen – ist es nicht nur shakei und das Herauspolieren des eigenen shashin oder das Aufblühen unseres Wesens in den Früchten der Würde. Würde begleitet gewöhnlich hohe und würdevolle Ausführung, es gibt sogar charismatische Kennzeichen des Verdienstes im Bogenschießen, die sich den anderen zeigen …

 

Aber der Verdienst der Praxis des Bogenschießens, der sich anderen zeigt, ist der letzte Beweis des Bogenweges. Darüber hinaus, worauf zielt Kyudo eigentlich ab?

 

Dieser Gei und sein Lehrer waren weit fortgeschritten im Bogenschießen. Geis Lehrer war dem Tod bereits nahe und es gab keinen schriftlichen Beweis der Übertragung an Gei. Ohne einer schriftlichen Bestätigung der Vollendung seiner Meisterschaft von Geis Lehrer gab es keine Bestätigung und keine Möglichkeit für Gei unabhängig von seinem Lehrer zu werden. Dadurch dass Gei diese Übertragung und Unabhängigkeit nicht erhalten hatte, litt er und sein Lehrer sehr unter dem Bogenweg. Wenn jemand einen Beruf hat, dann erlebt er das. Ein wahrer Lehrer ist eigentlich ungestüm und letztendlich für dich verantwortlich. Für den Studenten gibt es kein Ende des Lernens, solange der Lehrer lebt. Es gibt auch kein Ende des Lehrens für den Meister. Darum ist es sehr schwierig für den Meister, seinen vollendeten Schüler zu sehen, dem er nichts mehr lehren kann, der aber noch immer in seiner Nähe ist – wie es bei Gei der Fall war. Tag und Nacht waren er und sein Meister wie wilde Hunde oder so etwas. Gei sah schwache Punkte, unklare Momente und Lücken bei seinem Lehrer. Im Japanischen nennt man das„suki“, das bedeutet „Lücke“ oder „Ziel“.

 

Kyudo

Der Schüler war bereit, seinen Lehrer zu erschießen. So sieht ein Schwertkämpfer auf seinen Gegner. Zwei Menschen, die so hart trainiert haben, erreichen einen Punkt, wo es immer zwei Schwerter im Dojo gibt. Diese Spannung zwischen ihnen ging weiter bis eines Tages jeder der beiden „suki“ im anderen fühlte. Sie schossen im Dunklen aufeinander. Bei einer solchen Gelegenheit entdeckt man die wirkliche Bedeutung seines Ziels im Leben. Was passierte, war, dass ihre Pfeile auf einander prallten. Da gaben beide auf und sagten: OK Du kannst gehen … Du kannst gehen …Du kannst jederzeit sterben und auf Wiedersehen. (Der Schüler sagt zum Meister: „Ich habe alles, was möglich ist von Dir erhalten, also brauche ich Dich nicht mehr.“ Der Meister ist froh und erleichtert, weil er mit dieser Weitergabe des Erbes sterben kann.) Die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler ist so – sehr intensiv.

 

 

Es ist nicht unbedingt eine Korrektur nach der anderen, sondern ein Lernen – befriedigendes Lernen – von einander. Der Schüler lernt vom Lehrer und der Lehrer lernt vom Schüler, vielleicht sogar mehr als der Schüler lernt. Es ist diese Art der hervortretenden Energie. (Pause)

 

Während ich heute hier sitze, habe ich auf mein Leben zurückgeblickt und wirklich gefühlt, was für ein armseliger Schüler ich gewesen bin. Ich bin nicht gegangen um meinen Lehrer zu sehen und zu besuchen nach so viel Großzügigkeit und Gastfreundschaft. Ich habe nicht einmal einen Dankbrief geschrieben. Aber es scheint, dass man dieses shahin bei anderen fühlt. Wahrscheinlich ist es nicht notwendig darüber zu sprechen. Jeder merkt, was der wirkliche Austausch beim Lehren ist.

 

Student: Vor einigen Jahren habe ich Sensei um seine Anweisung für meine Praxis gebeten. Er sagte, ich sollte nicht mehr länger für mich selbst schießen, sondern beginnen für die anderen zu schießen …

CR: Ich wußte, dass Du darüber sprechen wolltest.
S: Er hat heute die selbe Frage nicht beantwortet. – Ich habe es sogar einige Male angesprochen. Ich habe meine eigenen Interpretation, was das bedeutet, weil Kyudo offenbar so eine individuelle Übung ist, alles ganz jeder selbst. Es ist auf diese Weise betont. Ich frage mich, ob Ihr mir da heraus helfen könnt.

 

CR: Ich weiß was Du meintest mit dem Bogenschießen für einen selbst und für die anderen. Ich kenne insbesondere das Schießen für die anderen. Ich habe eine kleine Frage was es bedeutet und was Du meintest. Es war sehr eigenartig das zu hören. Außer vielleicht Du sprichst über das Jagen und Nahrung nach Hause zu bringen für Familie oder so etwas. Du denkst: „Das ist nicht für mich – mein Teil ist sehr klein.“ Was heißt das: für andere zu schießen?

 

S: Ich dachte, dass Du mir einen Anhaltspunkt gaben könntest … oder, weil die Form ist die Form — auch ein Roboter könnte das machen …

CR: Oh ja! (Gelächter) Ich kenne Deine Art von höflichen Fragen. Es ist eine ernste Frage. Warum mache ich das? Ein fortgeschrittener Student hat immer dieses Problem. (Gelächter) Wie die Vorstellung des Mahayana und Bodhisattvayana – Du sprichst über die Qualität des Bogenweges.

 

S: Ich vermute ich musste das.

 

CR: Im Hinayana-Weg und im Mahayana gibt es shakei, shashin und shahin. Alle zusammen.

Warum ich das sage ist, wie ich hier heute gesessen bin, habe ich mich nicht nur als sehr armseliger Bogenschütze gefühlt … wahrscheinlich der faulste hier in diesem Raum (Gelächter) – Ich habe mich gefragt, was ich all die Jahre gemacht habe? … herum spielen oder so etwas. Es war nicht so, dass ich irgendwelche Widerstände hatte. Meine Begeisterung für den Bogen und den Pfeil gibt es, seit ich drei Jahre alt war. Ich habe immer geschossen. So, zurückschauend und mich fragend wie Bogen und Pfeil in meine Hände gefallen sind -wie habe ich es aufgegriffen? Ich welcher Phase meines Lebens wurde ich vom Bogenweg aufgenommen?

 

Indem ich jede der langen Pausen in meiner Praxis mir bewusst werde, sehe ich den Bogenweg für ungefähr zehn Jahre aus meinem Leben verschwinden. Im Geist aber war der Bogenweg immer da, auch wenn ich den Bogen und den Pfeil gar nicht angegriffen und nicht geschossen habe. Zurückkommend auf Rick’s Frage am ersten Tag – oder war es am zweiten? – es ist nicht notwendig an diesem Punkt, den Bogen als Waffe zu sehen. Jetzt sind wir über einen solchen Punkt hinaus und ich kann davon sprechen, wie der Pfeil des Geistes in das tägliche Leben eindringt. Der Pfeil des Geistes wirkt in der selben Geschwindigkeit und Genauigkeit jeden Tag. Gedanken sind wie Pfeile. Du verfehlst nicht, du verfehlst das Ziel nicht. Habt ihr das bemerkt? (Roshi sieht sich fragend um.) Ihr habt es nicht bemerkt.

 

All diese Jahre, die ich weder Bogen noch Pfeil gehalten habe, war mein Geist immer auf dem Bogenweg.

 

In diesen Jahren gab es in mir ein großes Dilemma. Das Dilemma war, ob der Bogenweg verschieden von der Zazen Praxis (Sitzmeditation) ist. Es gibt keinen Unterschied. Obwohl ich den größten Teil meines Lebens dieser seltsamen Sache gewidmet habe (Zazen), hat mich mein eigener Wurzel-Meister niemals Zazen gelehrt. Ich habe Zazen begonnen, als ich Buddhismus studierte und habe mich dazu verpflichtet. Ich habe mich entschieden in diesem Leben nichts als Zazen zu machen. Eigentlich endet das Dilemma zwischen Bogenweg und Zazen, sobald ich eines wähle. Bogen und Pfeil verschwinden sobald ich Zazen praktiziere, und wenn ich Bogenschießen übe, habe ich in dieser Zeit keinen Sinn für das Sitzen. Ich vergaß Zazen sozusagen. Hmmm … Ihr seht wie da ein Dilemma sein könnte. Aber was ich vom Zazen-Meister gelernt habe, war nicht Zazen. Er hat Zazen nicht einmal mehr geübt, aber ich übe Zazen und er sagte immer: „Oh, sitzt Du immer noch?“ (Gelächter) Und ich sage „Ja, Ich sitze immer noch.“

 

Dieser Zenmeister lebt in Japan und er ist ein wirklicher Lehrer von mir. Im Sinne von Lehren und ein Lehrer zu sein ist er immerfort der einzige. Wenn ich Euch auf diese Weise individuelle ansehe, steht er immer hinter Euch. Das ist ein großes Problem. (Roshi lacht.) Es ist eine sehr seltsame und erschreckende Situation. Glaubt es oder nicht, er ist sehr gewöhnlich. Er wollte nie bekannt werden. Vielleicht könnt Ihr fühlen, er ist eine Art Yogi. Er lebt so einfach und still. Niemand bemerkt, dass er ein Meister ist. Wenn ich im Sinne von shahin an ihn denke, oder was ich von ihm lernte und beobachtete, ist es nur das Eine: hin.

 

Mein Meister hat mich nur Eines gelehrt. Ich kann es nicht sehr gut auf Englisch ausdrücken: „Sein mir ähnlich, sei mir nicht ähnlich.“ Das war die einzige Lehre, die ich erhalten habe. Werde Herr über den Weg deines Lehrers, lerne, und beobachte alles, was der Meister tut und was die Menschen ihm antworten. Im täglichen Leben seht ihr alles vom Leben eures Lehrers. Indem ihr seinen Geist der Ergebenheit gegenüber dem Weg verfolgt, erkennt ihr am Ende alles. So könnt ihr, wenn euer Meister stirbt, als euer eigener Meister dastehen.

 

Dieses „Sein mir ähnlich, sei mir nicht ähnlich.“ – ist erschreckend. Es ist so wie wenn du hinausgeworfen wirst aus dem Haus. Du gehst, entdeckst und tust etwas anderes. Irgendetwas. Ich glaube, ihr kennt das sehr gut. Ihr habt dieses Thema euer ganzes Leben lang in verschiedenen Situationen erlebt, wenn ihr Leute trefft, besonders wenn ihr ihnen näher kommt und in ihr Leben eindringt. Es mögen wohl zwanzig sein seit eurer Kindheit. Sollen wir hier Schluss machen- -haben wir noch Zeit?

 

Kuden? Geheimnisvoll. Ich habe mich immer dafür interessiert: Kuden. Kennt ihr Kuden? Es ist die mündliche Übertragung, nicht geschrieben, und gewöhnlich ist es überhaupt die einzige die gegeben wird, und nur an eine Person, – nicht so wie hier in der Öffentlichkeit. Da gibt es die Frage nach dem Inhalt von Kuden. Wieder, wenn ihr zurückblickt auf euer Leben und euer tiefstes Interesse erkennt, worin ihr eure meiste Energie gesteckt habt bis heute, da gibt es etwas, das ihr von dieser Tätigkeit gelernt habt. Auch, vielleicht hat jemand mit euch darüber gesprochen, was ihr getan habt. Zum Beispiel, angenommen ihr seid Koch und hattet viele Lehrer davor. Da gibt es einen, der euch physisch gelehrt hat, einen der euch das Kochen sehen ließ und einen der euch viele feine Rezepte gab. Lehrer tauchen in dieser Art auf. Aber der Wurzel-Lehrer, wenn er euch wirklich vertraut, ist der einzige, der an euch die Übertragung geben und euch bestätigen kann.

 

Diese Kyudo-Familie – Heki Ryu Chiku Rin Ha („Sonnen Untergangs Strom Bambus Gehölz Welle“) – der wir angehören, ich weiß nicht vor wie vielen Generationen sie begann, und wann das Shikan-no-sho („Buch mit vier Bänden“) geschrieben wurde? Das ist ein Buch, das von einem unserer Vorfahren geschrieben wurde. Es reicht vom Einfachen bis zum wirklich Fortgeschrittenen. Sehr oft sagt es, man soll sich auf Kuden verlassen, mündliche Übertragung. Wenn ihr in Schwierigkeiten kommt auf eurem Weg der Übung – das genaue und individuelle Wie und Warum – ihr euch abmüht, indem ihr euch fragt, „Wo stehe ich? Ich dachte das hätte ich schon geschafft. Was passiert eigentlich? Was kann ich vielleicht von dieser Situation erkennen?“ und so weiter.

 

In solchen Situationen öffnet sich Sensei zu euch, und da gibt es keinen Geiz mehr bei seinen Lehren an euch. Er vollzieht Kuden. Die ganze Zeit über habe ich das bemerkt, darum gratuliere ich euch vielmals dazu: Übertragung von Angesicht zu Angesicht, körperliche Gegenwart und Teilnahme. Sein ganzer Körper und Geist, seine Gegenwart, sind wie ein Pfeil, der uns aus der Vergangenheit erreicht. Das ist eine wunderbare Sache, ihr könnt euch darauf verlassen und sollt es hoch schätzen.

 

Lasst uns Schluss machen. Ich danke euch.